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Außenansicht Wittgensteinhaus

WITTGEN
STEIN
HAUS

Über die allmähliche Verfertigung der Gebäude beim Hören II

Standort

in den Räumen der Beletage des Wittgensteinhauses in Wien

Art

Klang-Installation

Jahr

Mai 1997

Equipment

8 Lautsprecher,

3 CD Player,

3 Verstärker und 3 CD’s

Organisator

Kultur Stadt Wien 

Ausführung

Josef Reiter

" Mein Haus für Gretl ist das Produkt entschiedener Feinhörigkeit … "

 

Ludwig Wittgensteins Haus für seine Schwester Margaret (Gretl) Stonborough-Wittgenstein ist ein singuläres Beispiel in der Architekturgeschichte des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Die Verwendung neuester Bautechniken und die asymmetrische Raumkubatur verweist auf das Vorbild Adolf Loos, der Erstentwurf für diesen Bau stammte von Paul Engelmann, einem Loosschüler. die konsequente In seiner klassizistischen Ausprägung, die Raumanordnung und Konzeption der Proportionsverhältnisse betreffend finden sich jedoch auch deutliche Bezüge zu Johann Fischer von Erlach, den L.Wittgenstein besonders schätzte.

Die Suche nach einem, den Plan der Beletage des Wittgensteinhauses bestimmenden, Proportionssystem führt zu einem - auf musikalischen Intervallen beruhenden - Harmoniesystem. Vorhalle und Vestibül entsprechen dem Verhältnis 1:1, der Saal 1:2, Esszimmer und Bibliothek 2:3, der Salon 3:4, das Frühstückszimmer 5:6.

Das Klangmaterial der Installation besteht ausschließlich aus gesampelten Klänge einer B-Klarinette, das Instrument, das Wittgenstein selbst spielte und einer Bassklarinette, eingespielt von Donna Wagner-Molinari und Josef Reiter. Die mit mehreren Mikrophonen, am Trichter, in der Mitte und ganz nah am Mundstück aufgenommen Einzeltöne wurden mit dem Computer genau nach den Maßen (Länge, Breite und Höhe) der einzelnen Räume gestimmt, bearbeitet, fertig abgemischt und anschließend auf Einzel CD’s gebrannt. Jeder Raum hat seine eigenen Klänge, die vier CD’s sind in der Dauer so berechnet, daß ein sich ständig änderndes 
Klangkontinuum entsteht.

Hedwig Saxenhuber über Josef Reiter

 

Über die allmähliche Verfertigung der Gebäude beim Hören II

Über die allmähliche Verfertigung der Gebäude beim Hören ist eine Ausstellungsreihe von Josef Reiter, die verschiedene architektonische Konzepte untersucht und als Klanginstallationen realisiert.

Der Titel der Ausstellung ist zugleich die Überschrift eines Aufsatzes von Heinrich Kleist und steht beispielhaft für die Arbeitsweise des Künstlers. Reiters erstes Projekt war im letzten Jahr der Prunksaal der Nationalbibliothek: Dort setzte er die Proportionen des Fischer von Erlach-Baus mittels Posaunenklängen um. Im Wittgensteinhaus, wo wir uns heute befinden, findet dieses Projekt nun seine Fortsetzung.

Ludwig Wittgensteins Architektur wurzelt in seiner eigenen Geschichte, die wahrscheinlich allen bekannt ist und die ich kurz memorieren möchte. Mit seinem Freund Paul Engelmann, einem Loosschüler baut er mit und für seine Schwester Margarete Stonborough ein neues Haus. Der Entwurf ist stark an das großbürgerliche Elternhaus, das klassizistische Familienpalais angelehnt und von Loos'schen Ideen überlagert. Wittgenstein greift relativ spät In einen weitgehend festgelegten Grundriß ein. Zu diesem Zeitpunkt fehlt zum endgültigen Plan noch die ganze Raumschicht In der "Kundmanngasse", das großzügige Stiegenhaus mit dem Personenlift sowie jener Feinschliff aller Proportionen, aller Bauelemente und aller Details, mit dem er dem Bau erst die entscheidende, unverwechselbare Schärfe und Präzision verliehen hat.

Wittgenstein, dem die große neue Kunst seiner Zelt jeglicher Sparte verschlossen blieb, ist einer der wesentlichen Denker und Erneuerer für das Verständnis von Ästhetik und auch für das spartenübergreifende Handeln unserer Zeit . Kunst allgemein ist für Wittgenstein eine Form des Sprachspiels, ein Sprachspiel in einer spezifischen Verwendungsform, wobei auch hier das Gesetz der "Familienähnlichkeit" gilt.

Wittgenstein lehnt jede strenge Definition oder Gattungsabgrenzung ab, was für die Kunst heißt: Sie ist Teil der "Lebensform" wie jedes andere Sprachspiel, nur im Vergleich, im "System" aller anderen Lebenstätigkeiten lebt Kunst.

Trotz Symmetrie und Achsen, trotz strenger Geometrie und Zahlenspiele sind das diesen Bau Auszeichnende wie Charakterisierende die Proportionen (1:2, 2:3, 3:4, 5:6) die "geheimnisvollen Determinanten" einer architektonischen Qualität. Und diese Proportionen sind die Grundlage für die akustische Bearbeitung von Josef Reiter. Die Struktur der Räume sind für die Tonhöhen bestimmend, die Klangfarben entstehen durch die Bearbeitung des Materials am Computer, wobei durch den subjektiven Eingriff Reduktionsprozesse in Gang gesetzt werden.

Die Auswahl des Instruments ist eng an die musikalischen Vorlieben Ludwig Wittgensteins geknüpft: Ihm waren Schubert und Schumann wesentlich näher als Schönberg, was Josef Reiter zur Auswahl der Klarinette führte, einem typischen Instrument für Kammermusik. Wittgenstein hat in seiner Volksschullehrerzeit selbst Klarinette gespielt.

Das Wesentliche an Wittgensteins Bau ist das, was nicht abgebildet werden kann: Die Räume und wie sie sich gegenseitig bedingen, wie alles sich zu einer Gesamtharmonie ergänzt. Erst ein Bewegen durch das Raum-Gebilde offenbart den vollen Sinn, - selbst wenn jeder Raum für sich eine ausgewogene, in sich ruhende Architektur ist-, -wie auch jedes Element für sich betrachtet ein ausgewogenes, in sich ruhendes ästhetisches Objekt ist.
Und genau an dieser Stelle setzt Josef Reiter ein. 
Jeder Raum hat seine eigenen Klänge. Erst durch ein Bewegen in den Klang-Raum Gebilden ist das erfahrbar, wahrnehmbar, was nicht abgebildet werden kann.
Reiter erkundschaftet architektonische Räume, die spezifische Konstanten aufweisen, (historische, philosophische und oder soziale Bezüge) und schafft durch die für den Ort entwickelten Klangkonzepte eine konzentrierte Wahrnehmung der Räume. Es handelt sich dabei um keine selbstbezüglichen (selbstreferentiellen) Klanginstallationen, sondern es sind konzertante Aktionen von Wissensakkumulation: Reiter erforscht die Geschichte des Ortes, die musikalischen Vorlieben der den Ort prägenden Personen, vermißt die Architektur und verwendet die Idealmaße und Proportionen als Ausgangsmaterial für seine Klangmuster. Die Sprache von Josef Reiter sind Klänge und die sprechen für sich.

Hedwig Saxenhuber

Eröffnungsrede 1997

Josef Reiter installiert eine Klangskulptur

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Wittgensteinhaus

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